Benn-Ibler: „Die eigentlichen Reformziele wurden klar verfehlt.“
Zehn Jahre nachdem die Vereinheitlichung der Studiensysteme von den europäischen Bildungs- und Wissenschaftsministern beschlossen wurde, ist auch nach Ansicht des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK) der Zeitpunkt gekommen, zu resümieren. Das Urteil fällt dabei deutlich aus, und gibt wenig Anlass für ausschweifende Feiern. „Der Bologna-Prozess ist gescheitert“, findet ÖRAK-Präsident Dr. Gerhard Benn-Ibler klare Worte.
Ziel der Reform war es, die Studien so auszugestalten, dass ein Student sein Studium an jeder europäischen Universität fortsetzen kann. „Aus dem geplanten, dreistufigen Baukastensystem wurde die größte Baustelle der europäischen Bildungspolitik“, so Benn-Ibler. Genau das Gegenteil des Erwünschten wurde nämlich erreicht. „Die Studienordnungen sind nicht vergleichbarer, sondern unterschiedlicher geworden. Will ein Student heute von einer Universität auf eine andere wechseln, so ist dies deutlich schwieriger geworden, sowohl in Österreich als auch international“, begründet der ÖRAK-Präsident. Das System der ECTS-Punkte, die zu einer besseren Vergleichbarkeit unter den einzelnen Studien führen hätten sollen, hat sich als nicht tauglich erwiesen. „Die Studienlandschaft ist insgesamt sogar unübersichtlicher geworden und kaum mehr zu durchschauen“, so Benn-Ibler.
Die Bologna-Architektur mit den akademischen Abschlüssen Bachelor, Master und PhD stößt, wie zu befürchten war, nach wie vor auf wenig Akzeptanz am Arbeitsmarkt. „Gerade für die Ausbildung von Juristen ist dieses System gänzlich ungeeignet. Durch ein 6-semestriges Bakkalaureatsstudium kann eine umfassende Juristenausbildung niemals gewährleistet werden“, so Benn-Ibler. „Das anschließende, 4-semestrige Masterstudium führt aber zu einer unnötigen Verlängerung der Studiendauer. Außerdem werden den ohnehin schon unzureichend ausgestatteten Universitäten durch diverse Doppelgleisigkeiten beträchtliche Mehrkosten aufgebürdet“.
Die mangelhafte inhaltliche Ausgestaltung der Studien ist die logische Konsequenz. „Die zu beobachtende Verschulung des Studiums geht zu Lasten der wissenschaftlichen Arbeit, die etwa für den Rechtsanwaltsberuf unbedingt erforderlich ist“, so Benn-Ibler. Auch das Doktorat ist nach Ansicht des ÖRAK-Präsidenten für die Praxis verlorengegangen. Zusammenfassend ist die Einführung der Bologna-Architektur aus Sicht der Rechtsanwaltschaft als gescheitert zu betrachten. „Die Bildungsbaustelle „Bologna-Prozess“, die in Wahrheit nie über das Stadium einer Baugrube hinaus kam, sollte endlich ein für alle Mal zugeschüttet werden“, so Benn-Ibler, der die bildungspolitisch Verantwortlichen zu einem Dialog mit den Kritikern des Bologna-Modells aufruft.
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