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Rechtsanwaltschaft: Rot-weiß-rote Gruppenklage mit Vorbildwirkung für Europa jetzt einführen

Utl.: 37. Wiener Advokatengespräche im Zeichen der „Kollektiven Rechtsdurchsetzung“; Gruppenklage als Weiterentwicklung der Rechtsordnung

Bereits zum 37. Mal treffen einander in den kommenden Tagen 250 Spitzenvertreter der Anwaltschaft und Justiz aus 35 Ländern zu den schon traditionellen, vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) veranstalteten, Advokatengesprächen in Wien. Als nahtlose Anknüpfung an den im Vorjahr behandelten Themenkreis „Zugang zum Recht“ steht heuer ein Schwerpunkt im Mittelpunkt der Fachvorträge und Diskussionen, der aktueller kaum sein könnte: „Kollektive Rechtsdurchsetzung“. Hinter diesem Überbegriff verbirgt sich nichts anderes als jene Weiterentwicklung der Rechtsordnung, die sich in einer Verbesserung der Rechtsdurchsetzung bei gleichartigen Schadensfällen manifestiert: das Instrument der Gruppenklage, das neben einer österreichischen auch eine grenzübergreifende, europäische Dimension besitzt. Ziel muss es sein, für eine Verbesserung der Rechtsdurchsetzung bei gleichartigen Schadensfällen zu sorgen, und zwar durch schnelle, faire und effiziente Verfahren.

Gruppenklage als Weiterentwicklung der Rechtsordnung

„Dass herkömmliche prozessuale Möglichkeiten zur Bewältigung von Massenverfahren nicht ausreichen, ist gerade angesichts aktueller Massenschadensfälle evident“, beschreibt ÖRAK-Präsident Dr. Gerhard Benn-Ibler die Ausgangssituation. Das Modell der so genannten „Sammelklage österreichischer Prägung“, wonach mehrere Verbraucher ihre Ansprüche an einen Verband abtreten und dieser die gesammelten einzelnen Ansprüche geltend macht, steht nicht nur im Spannungsverhältnis zur geltenden Rechtsordnung, sondern ist zudem überholt. „Rechtsdurchsetzung darf nicht davon abhängig sein, dass der Geschädigte einen Verband findet, der seinen Anspruch geltend macht“, erklärt Benn-Ibler. Die Gruppenklage als neues Instrument im Zivilverfahren soll daher dem Gruppenkläger ermöglichen, seinen individuellen Anspruch effizient, kostengünstig und direkt durchzusetzen, ohne dabei die eigenen Ansprüche an Dritte abzutreten, die damit auch eigene wirtschaftliche Interessen verfolgen (zB „Quota litis“-Problematik). „Durch ein neues Gruppenverfahren wird sowohl die Prozessökonomie gefördert als auch eine Grundsatzentscheidung ermöglicht, in der für alle Gruppenmitglieder gemeinsame Tat- und Rechtsfragen geklärt werden“, beschreibt Benn-Ibler die unmittelbaren Auswirkungen, „dabei bleibt der in der Gruppe geltend gemachte Anspruch ein individueller, der nicht an Dritte abgetreten wird und auch von jedem Gruppenkläger allein zu Ende geführt werden kann. Dadurch kann es auch in jedem Einzelfall zu einer individuell richtigen Lösung kommen“.

Rot-weiß-rote Gruppenklage mit Vorbildwirkung für Europa

„Angesichts dieses unter allen Experten unumstrittenen Anpassungs- und Erweiterungsbedarfs der Rechtsordnung wäre es an der Zeit, dem auch endlich auf legistischem Wege Rechnung zu tragen“, verweist Benn-Ibler auf das aktuelle Regierungsübereinkommen und einen einstimmigen Beschluss des Justizausschusses zur Sinnhaftigkeit einer Gruppenklage. Die Rechtsanwaltschaft fordert daher, so bald als möglich für entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen zu sorgen, die eine geordnete Abwicklung solcher Massenverfahren ermöglichen, und sich gleichzeitig in das System des österreichischen Zivilverfahrensrechtes einfügen. „Die Entwicklung einer rot-weiß-roten Gruppenklage, die mit den traditionellen Grundsätzen des österreichischen Verfahrensrechtes in Einklang steht, wäre das richtige Mittel, um einem Brüsseler Entwurf zuvorzukommen und auch etwaigen amerikanischen Verhältnissen vorzubeugen“, so Benn-Ibler. „Dadurch könnte man auf europäischer Ebene das Heft in die Hand nehmen und gleichzeitig Österreichs gute Position im Wettstreit der Rechtsordnungen stärken“, ergänzt der ÖRAK-Präsident.

Geht es nämlich um die Sicherung solider Wettbewerbsbedingungen, so ist dies nach Ansicht der Rechtsanwaltschaft eine zentrale Aufgabe der einzelnen Mitgliedsstaaten. „Es sollte jedem Staat selbst überlassen sein, sinnvolle, faire und zur eigenen Rechtsordnung passende Klagsformen zu schaffen, um effizienten Rechtsschutz für Geschädigte sicherzustellen“, so ÖRAK-Vizepräsident Dr. Rupert Wolff, „außerdem entspricht derzeit ohnehin keine der von der EU-Kommission zur Diskussion gestellten Optionen den Erfordernissen der österreichischen Rechtsordnung.“

Rahmenbedingungen für ein Modell der Gruppenklage

Ein Verfahren, das zur Durchsetzung berechtigter Ansprüche von Leidtragenden großflächiger Schadensereignisse dient, soll nach Ansicht der Rechtsanwaltschaft bestimmte Rahmenbedingungen erfüllen, um eine geordnete Abwicklung in Einklang mit der österreichischen Rechtsordnung zu gewährleisten. RA Dr. Elisabeth Scheuba, Tagungsvortragende zur „Kollektiven Rechtsdurchsetzung“ bei der Europäischen
Präsidentenkonferenz, beschreibt diese wie folgt:

• Das „Opt-in-Prinzip“ als Garant für die Freiheit jedes Einzelnen, aktiv und selbstbestimmt zu entscheiden, einen Anspruch zu verfolgen.
• Das Verfahren muss allen Geschädigten (zB auch Kleinbetrieben) offen stehen, nicht nur Verbrauchern.
• Beibehaltung des Kostenersatzprinzips um einer möglichen Schieflage hinsichtlich der Verfahrenskosten vorzubeugen und eine willkürliche Klagsflut wegen fragwürdiger Ansprüche zu verhindern. Jeder Anspruchsinhaber sollte ein anteiliges Kostenrisiko zu tragen haben.
• Zivilrechtlicher Schadenersatz ist vom staatlichen Straf- und Fahndungsauftrag strikt zu trennen.
• Die Finanzierung von Verfahren ist vom verfolgten Anspruch ausnahmslos getrennt zu halten. Andernfalls drohen amerikanische Verhältnisse und eine wahre Klageindustrie.
• Mindestklägeranzahl von 100 Klägern.
• Die Sammlung der Ansprüche erfolgt wie die Zulassungsentscheidung durch das Gericht, da die Sammelstelle kein eigenes Interesse an den gesammelten Ansprüchen haben und nicht selbst Inhaber dieser sein darf.
• Es soll jedem Staat selbst überlassen sein, sinnvolle und passende Klagsformen zu schaffen.
• Gemeinschaftliche Verfahren dürfen wenn, dann nur bei grenzüberschreitenden Fällen zur Anwendung kommen. Rechtsanwaltschaft bietet Unterstützung bei der Umsetzung an Zahlreiche Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit, wie etwa die Kaprun-Tragödie, oder in unterschiedlichen Fällen jeweils zu Tausenden geschädigte Anleger belegen, dass gerade hinsichtlich der effizienten Bewältigung von Massenverfahren dringender Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers besteht. „Die österreichische Rechtsanwaltschaft ist, wie bereits in der Vergangenheit, gerne dazu bereit, aktiv an der Konstruktion eines Gruppenklagemodells mit europäischer Vorbildwirkung mitzuwirken“, so Benn-Ibler abschließend.

Informationen zur Europäischen Präsidentenkonferenz sind unter www.e-p-k.at abrufbar. O-Töne des Pressegesprächs finden Sie unter www.o-ton.at. In Österreich gibt es 5300 Rechtsanwälte, rund siebzehn Prozent davon sind Frauen. Rechtsanwälte sind bestausgebildete und unabhängige Rechtsvertreter und -berater, die nur ihren Klienten verpflichtet und verantwortlich sind. Primäre Aufgabe ist der Schutz, die Verteidigung und die Durchsetzung der Rechte Einzelner. Dritten gegenüber sind Rechtsanwälte zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet, womit auch eine völlige Unabhängigkeit vom Staat gewährleistet wird. Vertreten werden die Rechtsanwälte durch die Rechtsanwaltskammern in den Bundesländern sowie durch den Österreichischen Rechtsanwaltskammertag, ÖRAK, mit
Sitz in Wien.

Rückfragehinweis:
Österreichischer Rechtsanwaltskammertag,
Bernhard Hruschka Bakk., Tel.: 01/535 12 75-15,
hruschka@oerak.at, www.rechtsanwaelte.at, www.e-p-k.at

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