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Rechtsanwaltschaft präsentiert 35. Wahrnehmungsbericht zur österreichischen Rechtspflege und Verwaltung

Utl.: Mängel bei der Gesetzgebung und Unzulänglichkeiten im juristischen Echtbetrieb stehen im Mittelpunkt der Kritik

Auch in diesem Jahr nimmt die Rechtsanwaltschaft ihr Recht in Anspruch, Mängel in Rechtspflege und Verwaltung in Form ihres traditionellen Wahrnehmungsberichtes aufzuzeigen. Neben zahlreichen Kritikpunkten an nationaler und europäischer Gesetzgebung, werden Anlassfälle exemplarisch herausgestrichen, wodurch Verbesserungsbedarf in der Rechtspflege zum Ausdruck kommt. Angefangen bei mangelhafter Kommunikation über lang andauernde Verfahren bis hin zur bedenklichen Einschränkung von Opferrechten und Kopfschütteln erregenden Einzelfällen stehen Unzulänglichkeiten in Rechtspflege und Verwaltung im Fokus der kritischen Betrachtung. „Im Sinne des Rechtsstaates ist es die Pflicht der Rechtsanwaltschaft, Problemfelder anzusprechen und für eine transparente Justiz einzutreten“, so Gerhard Benn-Ibler, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK), der in diesem Zusammenhang auch große Hoffnungen in die zukünftige Justizministerin setzt.

Kritik an Gesetzgebung

An bereits in der Vergangenheit mehrfach kritisierten Vorgehensweisen bei der Gesetzgebung hat sich auch während des letzten Beobachtungszeitraumes nur wenig zum Guten verändert. Eher das Gegenteil ist der Fall. Neben einigen sowohl sachlich als auch rechtsstaatlich bedenklichen Vorhaben wie dem Finanzprokuraturgesetz, der Schaffung von Sonderbehörden zur Korruptionsbekämpfung oder der Einrichtung des Asylgerichtshofes, muss vor allem der oftmals problematische Gesetzwerdungsprozess selbst negativ hervorgehoben werden. So macht es wenig Sinn, wenn zeitgleich durch verschiedene Entwürfe unterschiedlicher Ministerien Änderungen an den gleichen Gesetzen vorgenommen werden sollen (siehe Wahrnehmungsbericht Seite 9). Neben viel zu kurzen Begutachtungsfristen und einer Reihe von „Husch-Pfusch“-Gesetzen ist auch die mangelhafte organisatorische Vorbereitung der Strafprozessreform (zu wenige Planstellen) negativ hervorzuheben.

„Mehr Sorgfalt bei der Gesetzgebung“ ist und bleibt daher eine zentrale Forderung der Rechtsanwaltschaft, deren Einhaltung auch in Zukunft wachsamen Auges beobachtet werden wird. „Neue Vorhaben müssen ausreichend und umfassend begutachtet und diskutiert werden, vor allem wenn es sich um besonders sensible Themen wie Eingriffe in Grundrechte handelt“, fordert Benn-Ibler. Gerade im gesellschaftspolitisch so relevanten Justizbereich warten auf die neue Regierung zahlreiche Aufgaben. Die laut Regierungsprogramm geplante sowie von der Rechtsanwaltschaft seit langem geforderte Schaffung von Landesverwaltungsgerichten ist jedenfalls eines dieser wichtigen Projekte, die schon seit geraumer Zeit auf eine Umsetzung warten.

 

Nachholbedarf auf EU-Ebene

Auf EU-Ebene ist vor allem auf das massive Ungleichgewicht zwischen dem Erlass oft anlassbezogener, grundrechtseinschränkender EU-Zwangsmaßnahmen einerseits und der Schaffung EU-weiter Verteidigungsrechte andererseits hinzuweisen. „Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung werden fast ausschließlich repressive Maßnahmen gesetzt, während bei den Verfahrensrechten und beim Grundrechtsschutz weiterhin große Lücken aufklaffen“, weist Benn-Ibler auf die Notwendigkeit dieser Balance hin. „Der Untergrabung der Grundrechte muss ebenso Einhalt geboten werden, wie der Aushöhlung der anwaltlichen Verschwiegenheit“, warnt der ÖRAK-Präsident.

Auch an der mangelnden Transparenz bei der Einholung von Studien seitens der Europäischen Kommission hat sich nichts geändert. Zur Beantwortung komplexer Fragen ist es gängige Praxis der Kommission, auf Bewertungen von außerhalb zurückzugreifen. Bedenklich ist jedoch, dass für die Vorgehensweise dieser externen Berater bei deren Informationsbeschaffung und –bewertung nach wie vor keinerlei Regeln existieren. Ein Zustand, der dringend verbessert werden muss, nur so kann die Objektivität dieser Expertisen gewährleistet werden.

Angriff auf Opferrechte im Strafverfahren

Als besonders problematisch erweisen sich Beobachtungen, wonach im glatten Widerspruch zur angekündigten Stärkung der Opferrechte nicht einmal bestehende Schutzmechanismen im Strafverfahren zur Anwendung kommen. Opfer einer Straftat, die sich als Privatbeteiligter am Strafverfahren gegen den mutmaßlichen Täter anschließen, werden oftmals gar nicht erst geladen sondern erfahren erst durch die Zustellung des Urteils vom Verfahrensausgang. Dass ein Richter darauf angesprochen auch noch meint, er übe es prinzipiell so, dass man Privatbeteiligte nicht zu Hauptverhandlungen lädt, ist als Schlag ins Gesicht der Betroffenen zu werten (Wahrnehmungsbericht S.21). „Dabei werden nicht nur Opferrechte mit Füßen getreten, sondern auch geltende Bestimmungen der Strafprozessordnung ignoriert“, so Benn-Ibler.

Mängel in der Strafrechtspflege

Auch hinsichtlich der Kommunikation mit den Gerichten liegt vieles im Argen. Wenn Verfahren eingestellt werden, ohne den zur Vertretung beauftragten Anwalt davon zu informieren (Wahrnehmungsbericht S. 18), ist das nicht nur unangebracht, sondern auch höchst unangenehm für alle Beteiligten. Die Tatsache, dass ein 2.000 Seiten umfassender Akt erst wenige Tage vor einer überfallsartig anberaumten ganztätigen Verhandlung dem als Verfahrenshelfer bestellten Rechtsanwalt übermittelt wird, stellt nicht nur eine gravierende Missachtung der Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung dar, sondern auch die Qualität der Rechtsprechung in Frage (Wahrnehmungsbericht S. 20). „Dass es sich dabei nicht um einen Einzelfall handelt ist umso bedenklicher“, meint Benn-Ibler. „Eine dem Umfang des Aktes angemessene Vorbereitungszeit ist im Sinne aller Beteiligten daher unbedingt erforderlich.“

Verzögerung von Zivilverfahren

Immer wieder tauchen Beschwerden über Verfahrensverzögerungen als Folge mehrfachen Richterwechsels auf. Trauriger Höhepunkt dieser für die Betroffenen unzumutbaren Entwicklung ist ein Fall, in dem sich das Verfahren seit nunmehr drei Jahren im zweiten Rechtsgang befindet. Grund dafür ist ein fünffacher Richterwechsel, der ein Fortschreiten des Verfahrens bislang unmöglich gemacht hat. (Wahrnehmungsbericht S. 25)

Sparsamkeit auf Kosten der Rechtssicherheit

Auch falsch verstandene Sparsamkeit hat ihren Preis. Geht sie doch zumeist auf Kosten der Rechtssicherheit. Seit Zeugenladungen nicht mehr als RSb-Brief zugestellt werden, steigt die Anzahl an vertagten Verhandlungen stark an. Der Grund liegt auf der Hand: Da sich nicht mehr feststellen lässt, ob Zeugen auch wirklich ihre Ladung erhalten haben, sind Vertagungen wegen nicht erschienener Zeugen an der Tagesordnung. Dies geschieht nicht nur zu Lasten der rechtsuchenden Bevölkerung, sondern führt zu unnötig längeren Verfahren und somit zu erhöhten Kosten. „Gerade angesichts dieser Erfahrungen sollten auch Bestrebungen, Klagen künftig nicht mehr mittels Eigenhandzustellung (RSa) sondern nur noch per RSb zuzustellen, gründlich überdacht werden“, warnt Benn-Ibler mit Bezug auf die bevorstehende Zivilprozessreform.

Eigenartige Praktiken eines Grazer Richters

Nach wie vor treten verstärkt Beschwerden im Zuge familienrechtlicher Verfahren auf. Vor allem ein Grazer Richter zeichnete sich in mehreren Fällen durch ganz besonderes „Feingefühl“ aus. Nicht nur, dass ein Scheidungsverfahren offenbar mit Eheberatung und Mediation verwechselt wurde, quittierte er das daraus resultierende Unverständnis der Betroffenen noch mit der Belehrung, die Parteien hätten sich ja bei der Trauung geschworen, verheiratet zu bleiben, bis der Tod sie scheide. Auf das Ersuchen der Rechtsanwältin, er möge doch bitte mit der Verhandlung beginnen, reagierte er erbost. Als ranziges Sahnehäubchen seiner Ausführungen darf in der Folge die Aufforderung des Richters gegenüber der Anwältin verstanden werden, sofort den Mund zu halten (Wahrnehmungsbericht S. 38). Derselbe Vorsitzende ließ seine fragwürdige Arbeitsauffassung auch in der Pflegschaftssache eines Minderjährigen aufblitzen. Hier war der Betroffene aufgrund der Untätigkeit des Richters schlussendlich sogar gezwungen seinen Wohnsitz zu verlegen, um ein Jahr und etliche fruchtlose Ablehnungsanträge später endlich zu einer Bearbeitung und Lösung zu kommen.

„Gerade im Bereich familienrechtlicher Verfahren ist daher verstärkt auf eine entsprechende Fachausbildung und Qualifikation der bestellten Richter zu achten, damit unzumutbare Zustände, die sich direkt auf die Schicksale der Betroffenen auswirken, bald der Vergangenheit angehören“, so ÖRAK-Vizepräsidentin Waltraute Steger.

„Ein funktionierendes Rechtssystem braucht stetige Kontrolle und Pflege“, beschreibt Benn-Ibler die Intention, die hinter dem Wahrnehmungsbericht steht. „Fehler müssen aufgezeigt und beim Namen genannt werden, nur so lässt sich der Rechtsstaat weiterentwickeln und verbessern. Die Rechtsanwaltschaft scheut keineswegs davor zurück, auch zukünftig ihren notwendigen Beitrag dazu zu leisten“, so der ÖRAK-Präsident abschließend.

Der Wahrnehmungsbericht 2007/08 der österreichischen Rechtsanwälte steht ab sofort unter www.rechtsanwaelte.at (Menüpunkt Stellungnahmen/Wahrnehmungsbericht) zum Download zur Verfügung.

 

In Österreich gibt es 5300 Rechtsanwälte, rund sechzehn Prozent davon sind Frauen. Rechtsanwälte sind bestausgebildete und unabhängige Rechtsvertreter und -berater, die nur ihren Klienten verpflichtet und verantwortlich sind. Primäre Aufgabe ist der Schutz, die Verteidigung und die Durchsetzung der Rechte Einzelner. Dritten gegenüber sind Rechtsanwälte zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet, womit auch eine völlige Unabhängigkeit vom Staat gewährleistet wird. Vertreten werden die Rechtsanwälte durch die Rechtsanwaltskammern in den Bundesländern sowie durch den Österreichischen Rechtsanwaltskammertag, ÖRAK, mit Sitz in Wien.

 

Rückfragehinweis:
Österreichischer Rechtsanwaltskammertag,
Bernhard Hruschka Bakk., Tel.: 01/535 12 75-15,
hruschka@oerak.at, www.rechtsanwaelte.at

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