ÖRAK-Präsident Benn-Ibler: „Themen, die für die Weiterentwicklung des Rechtsstaates von zentraler Bedeutung sind bedürfen der besonderen Aufmerksamkeit der Koalitionsverhandler!“
„Angesichts zahlreicher zu behandelnder Problemfelder darf die Justizpolitik nicht in den Hintergrund der Regierungsverhandlungen geraten“, fordert Dr. Gerhard Benn-Ibler, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK), nach der zweiten großen Verhandlungsrunde zwischen SPÖ und ÖVP. „Ein Mauerblümchendasein dieses so sensiblen und wichtigen Bereiches ist mit dem Anspruch der Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar“, so Benn-Ibler, der zugleich an die Vorschläge der Rechtsanwaltschaft erinnert und auf die konstruktive Mitwirkung der Anwaltschaft an der Erarbeitung entsprechender Initiativen verweist.
Aus Sicht der Rechtsanwaltschaft sollten einige rechtspolitische Themenkomplexe fixer Bestandteil der wöchentlichen Verhandlungsgespräche im Julius Raab-Zimmer des Hohen Hauses sein. Dazu zählt neben einer Nachbesserung des Gewaltschutzpaketes vor dessen endgültiger Beschlussfassung auch eine zeitgemäße Weiterentwicklung und Flexibilisierung des Familienrechts sowie eine Modernisierung des Gesellschaftsrechts und der Geschworenengerichtsbarkeit. Außerdem muss über eine Reparatur unpraktikabler Regelungen im Sachwalterrecht gesprochen werden. Die Entwicklung eines österreichischen Modells der Gruppenklage sollte ebenso auf der „To Do“-Liste stehen wie eine ernsthafte Diskussion über das in jüngster Vergangenheit immer relevanter werdende Thema „wrongful birth“.
„Gesetzesvorhaben die ganz besonders sensible Bereiche betreffen, müssen in Zukunft einer deutlich umfangreicheren und genaueren Beratung unterzogen werden“, so Benn-Ibler. Dies sollte nach Meinung der Rechtsanwälte bereits im Rahmen der Verhandlungsgespräche geschehen. „Die Rechtsanwaltschaft hat schon in der Vergangenheit unsachgemäße Eingriffe in die Grundrechte des freien Bürgers aufgezeigt und wird auch in Zukunft den Finger in die Wunde legen, sollte es zu weiteren Einschnitten kommen“, so Benn-Ibler. Gemeint ist damit die geplante Ausweitung von Überwachungsmaßnahmen im Telekommunikations- und Online-Bereich, wie etwa die so genannte Online-Durchsuchung oder die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. „Derartige Maßnahmen dürfen nicht am Rande eines Gesprächstermins abgesegnet werden, sondern bedürfen einer intensiven Diskussion auf Expertenebene“, so Benn-Ibler. „Das zuletzt immer wieder angekratzte Vertrauen des Bürgers in den Rechtsstaat muss wieder gestärkt werden“, ergänzt Benn-Ibler, „persönliche Freiheitsrechte dürfen keinesfalls relativiert werden.“
Unangetastet muss auch die Unabhängigkeit und Verschwiegenheit des Rechtsanwaltes bleiben. Tendenzen, die eine Schwächung dieser mit sich bringen, ist ein klarer Riegel vorzuschieben. „Interdisziplinäre Unternehmensformen, in denen der Rechtsanwalt in seinem Handeln nicht mehr ausschließlich dem Klienten, sondern plötzlich auch einem weiteren, berufsfremden Gesellschafter gegenüber verantwortlich ist, sind als Untergrabung der anwaltlichen Unabhängigkeit strikt abzulehnen und haben am grünen Verhandlungstisch nichts verloren“, wird Benn-Ibler deutlich, „das Recht des Bürgers auf einen unabhängigen Rechtsanwalt muss außer Streit stehen“.
Mittels einfacher Neuerungen könnten bei steigender Effizienz gleichzeitig Verwaltungskosten im Justizbereich eingespart werden. Etwa durch die korrekte Umsetzung der EU-Signatur-Richtlinie, wo durch Verwendung der sicheren Signatur weitere Beglaubigungen entbehrlich werden. Ebenso kostenmindernd auswirken würde sich eine zeitgemäße Anpassung des prätorischen Vergleiches. „Neben der Einsparung von Kosten ließe sich dadurch die führende Stellung Österreichs beim elektronischen Rechtsverkehr nutzen und weiter ausbauen“, erklärt Benn-Ibler. „Dass derartige Maßnahmen in die Verhandlungen einfließen sollten, bedarf angesichts immer knapper werdender Mittel sowohl beim Einzelnen als auch bei der öffentlichen Hand wohl keiner weiteren Begründung“, so Benn-Ibler. „Um die Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel zur Stärkung und Weiterentwicklung des Rechtsstaates auch für die Zukunft gewährleisten zu können, müssen gerade dort Einsparungen getroffen werden, wo diese sogar mit einer Verbesserung und Effizienzsteigerung für die rechtsuchende Bevölkerung einhergehen“, ergänzt der ÖRAK-Präsident.
Schon allein Umfang, Komplexität und Bedeutung der gebotenen Gesetzesmaßnahmen im Justizbereich verdeutlichen, dass diese nicht am Rande eines so genannten Sicherheitspaketes mitverhandelt werden können, sondern eines eigenständigen Themenkomplexes bedürfen. „Der stiefmütterlichen Behandlung des Justizbereichs im Zuge vergangener Regierungsverhandlungen ist ein Ende zu setzen“, meint Benn-Ibler zusammenfassend, „nur so kann gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz gefestigt werden“. Die österreichische Rechtsanwaltschaft ist in jedem Fall bereit, ihren Beitrag zur Erarbeitung und Umsetzung entsprechender Vorhaben zu leisten.
In Österreich gibt es 5300 Rechtsanwälte, rund sechzehn Prozent davon sind Frauen. Rechtsanwälte sind bestausgebildete und unabhängige Rechtsvertreter und -berater, die nur ihren Klienten verpflichtet und verantwortlich sind. Primäre Aufgabe ist der Schutz, die Verteidigung und die Durchsetzung der Rechte Einzelner. Dritten gegenüber sind Rechtsanwälte zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet, womit auch eine völlige Unabhängigkeit vom Staat gewährleistet wird. Vertreten werden die Rechtsanwälte durch die Rechtsanwaltskammern in den Bundesländern sowie durch den Österreichischen Rechtsanwaltskammertag, ÖRAK, mit Sitz in Wien.
Rückfragehinweis:
Österreichischer Rechtsanwaltskammertag,
Bernhard Hruschka Bakk., Tel.: 0699 10416518,
hruschka@oerak.at, www.rechtsanwaelte.at