Utl.: Budgetkorsett zwingt Justiz mangels echter Einsparungsmöglichkeiten zu bedenklichen Scheinmaßnahmen
Dr. Gerhard Benn-Ibler, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK), stellt angesichts des morgigen Endes der Begutachtungsfrist fest, dass der vorliegende Gesetzesentwurf zum Budgetbegleitgesetz einen wohl noch nie dagewesenen, grundsätzlichen Diskussionsbedarf aufdeckt. Einen Diskussionsbedarf über rechtsstaatliche Prinzipen, über die Verantwortung und die Sorgfaltspflicht des Staates gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, sowie über Vertrauen in rechtsstaatliche Institutionen als wesentlicher Bestandteil unserer Demokratie. Der Gesamteindruck der die Justiz betreffenden Punkte des Gesetzesentwurfes ist laut Österreichischem Rechtsanwaltskammertag besorgniserregend.
Benn-Ibler: „Denn sie wissen nicht was sie tun! Wir Rechtsanwälte staunen über das Maß an politischer Unbedarftheit, das sich im Entwurf zum neuen Budgetbegleitgesetz wiederfindet. Es geht längst nicht mehr um die unverhältnismäßige Erhöhung irgendwelcher Gebühren, es geht um die grundsätzliche Frage, ob einzelne völlig untaugliche Schritte womöglich dazu geeignet sind, den Rechtsstaat so maßgeblich zu beeinträchtigen, dass dies dauerhafte gesellschaftspolitische Auswirkungen hat“, zeigt sich der ÖRAK-Präsident bestürzt über die politischen Signale des vorliegenden Entwurfs.
Der Umstand, in derart ungeeigneten Bereichen wie der Haftentschädigung nach Sparpotential zu suchen, lasse neben mangelndem Fingerspitzengefühl der politisch Verantwortlichen weiters vermuten, dass der Finanzminister kein eigentliches Sparpotential in der Justiz vorfinden könne. Laut Österreichischem Rechtsanwaltskammertag sei dies nicht weiter verwunderlich, denn das Gegenteil sei der Fall. „Die Justiz braucht selbst mehr Budget und ist nicht in der Lage zur Konsolidierung des Staatshaushaltes beizutragen“, so Präsident Benn-Ibler. Genau wie Einrichtungen der inneren Sicherheit sei ein funktionierender Rechtsstaat ein Kostenfaktor den man sich leisten müsse, ohne wenn und aber.
Der aktuelle Entwurf zum Budgetbegleitgesetz 2010 sieht vor, den Anspruch auf Haft-Entschädigung von bisher 100,- Euro pro Tag auf 20,- bis maximal 50,- Euro pro Tag zu reduzieren. Stellen schon die bisher geltenden 100,- Euro pro ungerechtfertigten Tag in Haft eine unangemessene Entschädigung für die erlittene Beeinträchtigung dar, so ist die weitere Reduzierung der Entschädigung für einen unrechtmäßigen Freiheitsentzug durch die Staatsgewalt nicht nur ein völlig untaugliches Sparvorhaben, sondern in erster Linie eine verheerende Bestandsaufnahme der Sorgfaltspflicht und der Vorbildwirkung staatlicher Institutionen gegenüber ihren Bürgern.
Zwtl.: Benn-Ibler warnt vor einer Politik ohne Bürger. Staat hat eine Sorgfaltspflicht gegenüber seinen Bürgern.
„Es ist erschreckend mit ansehen zu müssen, wie eine neue Leichtigkeit in der Politik die Justiz zunehmend vereinnahmt und man dabei vergisst, dass damit neben dem Vertrauen in die Politik selbst, auch das Vertrauen in rechtsstaatliche Einrichtungen schwinden wird", so Benn-Ibler.
Einen weiteren diesbezüglichen Fehlgriff des geplanten Budgetbegleitgesetzes stellt die Abschaffung der Möglichkeit dar, Klagen bei Gericht zu Protokoll zu geben. Dies soll in Zukunft „den Parteien in Eigenverantwortung überlassen“ werden und führt naturgemäß dazu, dass ein juristischer Laie wohl kaum einen fehlerfreien Schriftsatz bei Gericht einreichen kann. Darüber hinaus soll dem Richter aber auch per Gesetz die Möglichkeit gegeben werden, jedweden Schriftsatz, der ihm nicht plausibel erscheint, einfach ohne nähere Begründung zurückzuweisen. Es genügt der Hinweis auf eine vermeintliche „Unklarheit“, „Zwecklosigkeit“ oder „Wiederholung“. Dadurch kann Bürgern bei auch nur vermeintlichen „Unklarheiten“ das rechtliche Gehör von vornherein willkürlich verweigert werden. Der Eindruck, der bei gemeinsamer Betrachtung dieser beiden Maßnahmen entsteht ist fatal. Dies widerspricht nicht nur dem Justizgewährungsanspruch des Bürgers sondern führt zu genau dem erwähnten Vertrauensverlust. „Der Überbelastung der Richterschaft ist mit mehr Planstellen zu begegnen, nicht mit der Brüskierung der rechtsuchenden Bevölkerung", lässt Benn-Ibler an seinem Unmut keinen Zweifel.
Ein von Experten bereits heftig kritisierter Beweis für die Entfernung des Staates von seinen Bürgern ist der Vorschlag, die Strafbarkeit leichter, fahrlässiger Körperverletzungen solle künftig erst dort einsetzen, wo sich die Verletzungsfolgen jenen der schweren Körperverletzung annähern. Anstelle der bisher für die Strafbarkeit geforderten über drei Tage dauernden Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit wird jetzt eine mehr als vierzehntägige verlangt. Damit entfällt der größte Anteil fahrlässiger Körperverletzungen, die künftig nicht mehr verfolgt werden sollen. Dies ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar. Verkauft wird dies mit einer in diesem Zusammenhang völlig unpassenden „Entkriminalisierung“ sowie der Einsparung von Sachverständigenkosten, der eigentliche Zweck ist wiederum der unsachgemäße Versuch einer Entlastung der Richterschaft. Diese Maßnahmen beweisen aber lediglich wie dringend die Justiz neues Personal brauchen würde, und wie groß die Unzufriedenheit innerhalb der Strukturen bereits wurde, wenn man zu einer solchen politischen Verzweiflungstat gezwungen ist, und dabei massiven Schaden am Rechtsstaat und beim Vertrauen der Bürger billigend in Kauf nimmt.
Zwtl.: Benn-Ibler: Kein Platz für PR-Politik in der Justiz!
Abschließend und stellvertretend für populistische Tendenzen zu der die Justizpolitik gezwungen wird, sei die geplante Abschaffung der verhandlungsfreien Zeit genannt. Die verhandlungsfreie Zeit richtet sich bisher nach den Ferien im Schuljahr, da für diese Zeit Kläger, Beklagte, Zeugen, Rechtsanwälte und Richter und deren Familien, so wie die meisten anderen Österreicher auch, üblicherweise ihren Urlaub planen. Verhandlungen können also zum Großteil während dieser Zeit gar nicht stattfinden. Der Zugang zum Recht würde durch eine Abschaffung daher nicht verbessert, es sei vielmehr mit einem erhöhten Verfahrensaufwand aufgrund von zusätzlich notwendigen Verhandlungsterminen zu rechnen. Bei Rechtsmittelfristen von 14 Tagen wäre zudem eine Rücksprache mit Mandanten die ihren Urlaub konsumieren in vielen Fällen nicht mehr möglich. Die Justiz hat bisher auch völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass diese verhandlungsfreie Zeit in keiner Weise mit Gerichtsferien gleichgesetzt werden dürfe, und die Arbeit für ein Gericht auch in dieser Zeit nicht ruht. Nun wird plötzlich genau gegenteilig argumentiert. „Die Abschaffung der verhandlungsfreien Zeit ist kontraproduktiv und wie ich glaube auch unwirtschaftlich, die mitgelieferte Argumentation aber ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Justiz mangels echter Einsparungsperlen mit unechtem Glasschmuck für die Budgetdebatte behübscht wurde“, so Benn-Ibler.
Zwtl.: Benn-Ibler: Mutige Politik wird von den Bürgern mitgetragen. Strukturelle Veränderungen des Staatsapparates anstatt Scheinmaßnahmen zu Lasten des Rechtsstaates.
Auf die Erhöhung von diversen Gebühren sei nach ausführlicher medialer Kritiken einzelner Rechtsanwälte und Kammern nur insoweit nochmals verwiesen, dass klarzustellen ist, dass die Justiz seit geraumer Zeit bereits kostendeckend arbeitet, und geplante Einnahmen über dieses kostendeckende Maß hinaus, augenscheinlich einem anderen budgetären Zweck dienen müssen. Der Umbau der Justiz zur lukrativen Einnahmequelle des Staates bei gleichzeitigem Abbau von Bürgernähe und Service gleiche einer Bankrotterklärung der Budgetpolitik, so Benn-Ibler. Es sei keinesfalls einzusehen, dass die Justiz mit Scheinmaßnahmen nachhaltig beschädigt werde, während das riesige Einsparungspotential einer umfassenden Verwaltungsreform nicht einmal mehr erwähnt wird. „Das ohnehin schon enge Korsett, in dem sich die Justiz derzeit bereits befindet, darf nicht noch mehr angezogen werden, sonst droht ihr in absehbarer Zeit die Luft auszugehen“, warnt Benn-Ibler.
„Die Politik muss sich ihrer Verantwortung in dieser durchaus sensiblen Zeit endlich bewusst werden. Das durch Legislaturperioden und Parteizugehörigkeiten eingegrenzte Denken, welches die heutige politische Gestaltungskultur weitgehend dominiert, droht eine Gefahr für unser Staatsgefüge zu werden. Ich bitte die politischen Entscheidungsträger inständig den Dialog untereinander wieder aufzunehmen, und eine nachhaltige Konsolidierungsstrategie zu entwickeln. Nach den vielen asphaltierten Sackgassen ohne Sinn und Ziel bleibt nur mehr der gemeinsame steinige Weg über den Berg einer staatlichen Strukturreform“, resümiert Benn-Ibler seinen Wunsch nach einer mutigen Budgetpolitik, mit dem Wohl der Bürger als einzigem politischen Anspruch.
Die ausführliche ÖRAK-Stellungnahme zum Budgetbegleitgesetz ist unter www.rechtsanwaelte.at (Menüpunkt „Stellungnahmen“, Geschäftszahl 13/1 10/162) online abrufbar.
In Österreich gibt es 5600 Rechtsanwälte und 1800 Rechtsanwaltsanwärter. Rechtsanwälte sind bestausgebildete und unabhängige Rechtsvertreter und -berater, die nur ihren Klienten verpflichtet und verantwortlich sind. Primäre Aufgabe ist der Schutz, die Verteidigung und die Durchsetzung der Rechte Einzelner. Dritten gegenüber sind Rechtsanwälte zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet, womit auch eine völlige Unabhängigkeit vom Staat gewährleistet wird. Vertreten werden die Rechtsanwälte durch die Rechtsanwaltskammern in den Bundesländern sowie durch den Österreichischen Rechtsanwaltskammertag, ÖRAK, mit Sitz in Wien.
Rückfragehinweis:
Österreichischer Rechtsanwaltskammertag,
Bernhard Hruschka Bakk., Tel.: 01/535 12 75-15
hruschka@oerak.at, www.rechtsanwaelte.at