Bereits am ersten Tag seiner Amtszeit zeichnet Armenak Utudjian, neu gewählter Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK), im Rahmen des im burgenländischen Andau stattfindenden Anwaltstages einen klaren Weg für Rechtsstaat und Anwaltschaft. „Eine starke, in allen Bereichen vom Staat unabhängige Rechtsanwaltschaft ist das Fundament unseres Rechtsstaates“, so Utudjian. Diese staatspolitische Aufgabe gelte es ernst zu nehmen. „Natürlich sind wir kein angenehmer Player am rechtspolitischen Feld. Weil wir uns nicht verbiegen, sondern für unsere Grundsätze eintreten. So wie wir es in unserem Berufsalltag für unsere Mandantinnen und Mandanten machen“, macht Utudjian klar, dass die österreichische Rechtsanwaltschaft auch in Zukunft vor keiner standes- oder justizpolitischen Diskussion weichen wird.
„Wir sind es gewohnt, dem Staat die Stirn zu bieten und auch gegen Behörden vorzugehen, wenn es notwendig ist. Das macht uns Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aus, das ist unser USP im Rechtsstaat“, so der neue Präsident des ÖRAK weiter. „Wir Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte spielen zwar manchmal hart, aber immer fair, halten uns strikt an die Regeln und erwarten uns das auch von unserem Gegenüber“, so Utudjian. Dass das der Politik nicht immer angenehm sei, liege in der Natur der Sache. Man werde sich aber nicht davon abbringen lassen.
Forderung nach sofortiger Wertsicherung der Tarifansätze
Die Anpassung der Pauschalvergütung für die erbrachten Verfahrenshilfeleistungen und vor allem die Wertsicherung der Tarifansätze sind derzeit wesentliche Forderungen an die Politik. Diese seien rechtsstaatliche Notwendigkeiten, die gesetzlich klar geregelt sind und der Sicherung der Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft und somit dem Erhalt des Rechtsstaates dienen, so Utudjian. „Wenn die Politik dennoch versucht, eine ihr offenbar unangenehme Berufsgruppe hinzuhalten und zu gängeln, ist das in Wahrheit entlarvend und auch ohne Videobeweis als klares Foulspiel am Rechtsstaat zu erkennen“, macht Utudjian klar.
Gleichzeitig erhalten Verfahrenshelferinnen und Verfahrenshelfer bei einigen Gerichten nicht einmal mehr kostenlose Aktenkopien, um sich mit ihren Mandantinnen und Mandanten besprechen zu können, so Utudjian. „Unsere kostenlosen Leistungen sind dem Staat recht, aber seine eigene Leistung für den Rechtsstaat ist billig. Diese Situation ist aber alles andere als recht und billig. Das werden wir so nicht akzeptieren,“ so die klare Botschaft an Justizministerin und Bundesregierung.
Es sei ohnehin fragwürdig, dass es keine automatische Inflationsanpassung gibt und die Rechtsanwaltschaft jedes Mal aufs Neue für die rechtsuchende Bevölkerung und ihre anwaltliche Unabhängigkeit bei der Justizministerin vorstellig werden müsse, um die gesetzlich vorgesehenen Verordnungen für die notwendigen Anpassungen zu erwirken. Dass man dort aber seit eineinhalb Jahren untätig bleibt und damit eine Inflation von inzwischen über 20% seit der letzten Anpassung im Jahr 2016 einfach ignoriert wird, könne man nicht länger hinnehmen.
Kostenlose „Erste Anwaltliche Auskunft“ wird ab Montag, 26.09.2022, ausgesetzt
„Wir sind bereit, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Justizpolitik wieder ein wenig in die richtigen Bahnen zu lenken. Auch wenn das sonst nicht dem Stil der Anwaltschaft entsprechen mag, sind wir eben nicht nur uns selbst, sondern dem Rechtsstaat und seinen Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet und dieser Verpflichtung werden wir entschlossen nachkommen“, so Utudjian weiter. Die Leidtragenden des eingetretenen Wertverlustes seien nämlich all jene Bürgerinnen und Bürger, die sich erfolgreich in einem Zivilverfahren durchsetzen konnten. Deren Kostenersatz bemisst sich nach den gesetzlichen Tarifansätzen. „Bürgerinnen und Bürger, die ihre Ansprüche vor Gericht erfolgreich durchsetzen konnten, erhalten heute um 20% weniger Kostenersatz zugesprochen, als ihnen per Gesetz zustehen würde. Dies nur, weil das Justizministerium seit eineinhalb Jahren untätig ist und die längst notwendige Inflationsanpassung der Tarifansätze schlichtweg verweigert“, kritisiert Utudjian.
Als erste Protestmaßnahme wurde im Rahmen des Anwaltstages der Beschluss gefasst, die kostenlose „Erste Anwaltliche Auskunft“ der Rechtsanwaltskammern ab Montag, 26.09.2022, auszusetzen und rechtsuchende Bürgerinnen und Bürger stattdessen an die Gerichte zu verweisen. „Wir sehen uns gezwungen, ein erstes Zeichen zu setzen, um der Politik den Ernst der Lage klarzumachen“, so Utudjian. Die Rechtsanwaltschaft leiste Jahr für Jahr unentgeltliche Arbeit in beträchtlichem Ausmaß. Insgesamt beraten und vertreten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte jährlich ca 40.000 Bürgerinnen und Bürger kostenlos im Rahmen der Verfahrenshilfe, der Ersten Anwaltlichen Auskunft und der Opferberatung. Dieses Serviceangebot sei unter den aktuellen Voraussetzungen nicht länger aufrecht zu erhalten, so Utudjian. Die Einstellung der kostenlosen „Ersten Anwaltlichen Auskunft“ sei daher unvermeidbar. „Wir appellieren eindringlich an die Justizministerin, diese untragbare Situation endlich zu bereinigen. Andernfalls sind wir gezwungen, weitere Maßnahmen zu ergreifen“, macht Utudjian klar.
Stärkung der Beschuldigtenrechte und Maßnahmen zur Sicherstellung eines fairen Verfahrens überfällig
Auch andere Punkte harren laut Utudjian einer Lösung, die überfällig sei: Die notwendigen Reformen zur Stärkung der Beschuldigtenrechte und Sicherstellung eines fairen Verfahrens, etwa bei der Beschlagnahme und Auswertung von Datenträgern. Ein konkreter Gesetzesvorschlag werde in Kürze vom ÖRAK dazu präsentiert. Auch bei der teilweise unerträglich langen Dauer der Ermittlungsverfahren herrsche Handlungsbedarf. „Echte Waffengleichheit lautet hier unsere Zielsetzung“, so Utudjian.
Weiters könne es nicht sein, dass Aktenleaks inzwischen zur Normalität geworden sind und Beschuldigtenrechte dabei zur Lachnummer verkommen. Man habe den Eindruck, als würde das nur noch achselzuckend zur Kenntnis genommen, ohne dass Maßnahmen ergriffen werden, solche Vorfälle endlich zu unterbinden. „Ein Ermittlungsverfahren ist keine Zirkusmanege, in der man Bürgerinnen und Bürgern eine Clownnase aufsetzt, sondern eine Phase des Verfahrens, in der neben der unbedingten Unschuldsvermutung die volle Wahrung persönlicher Rechte zu gelten hat“, so der neue ÖRAK-Präsident, abschließend.