Klagenfurt ist in diesem Jahr Schauplatz der jährlichen Tagung der heimischen Rechtsanwälte, dem sogenannten Anwaltstag. Ein Zusammentreffen von Personen, denen die Justizpolitik und die rechtsstaatliche Entwicklung besonders am Herzen liegen, wie Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK), anlässlich der heutigen Eröffnung im Wappensaal des Klagenfurter Landhauses vor 250 Teilnehmern aus Justiz, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Rechtsanwaltschaft erklärte. Gemeinsam mit Gernot Murko, Präsident der Rechtsanwaltskammer für Kärnten, betonte Wolff die wichtige Funktion der Rechtsanwälte in einem demokratischen Rechtsstaat. Die Rechtsanwälte hätten nicht nur den gesetzlichen Auftrag, den Rechtsstaat zu beobachten und kritikwürdige Entwicklungen aufzuzeigen. Sie täten dies auch tagtäglich aus ihrem eigenen Selbstverständnis heraus. Als unabhängiger, freier Beruf, dessen Aufgabe es sei, für den Erhalt und Ausbau des Rechtsstaates einzutreten.
Tätigkeitsbericht: Rechtsanwälte halfen im Vorjahr 39.000 Bürgern unentgeltlich
Dieser Einsatz schlägt sich auch im heuer erstmals präsentierten Tätigkeitsbericht des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages nieder. Auf 40 Seiten wird aufgezeigt, welchen Beitrag die österreichische Anwaltschaft für die Rechtsstaatlichkeit leistet. Im Rahmen der Berufsausübung jeder einzelnen Rechtsanwältin und jedes einzelnen Rechtsanwaltes, aber auch durch diverse Sozial- und Serviceleistungen, die für die Betroffenen unentgeltlich angeboten werden: die Verfahrenshilfe in Straf- und Zivilverfahren, die kostenlose „Erste Anwaltliche Auskunft“, der Journaldienst für Festgenommene, Verbrechensopferberatungen und zahlreiche weitere Leistungen. Insgesamt wurden im Vorjahr rund 39.000 Bürgerinnen und Bürger unentgeltlich anwaltlich beraten oder vertreten. Der Wert der dabei allein im Rahmen der Verfahrenshilfe erbrachten Leistungen betrug 37 Millionen Euro. „Dies alles im Interesse einzelner Mitbürger, die ihre Rechte andernfalls nicht wahren könnten“, so Wolff, „Ein Einsatz der Rechtsanwaltschaft im Interesse des Rechtsfriedens in unserem Land und damit zum Wohl der Allgemeinheit“.
Kontroll- und Korrektivfunktion im Rechtsstaat
Aber auch die Aufgaben und Leistungen der anwaltlichen Standesorganisation werden im ÖRAK-Tätigkeitsbericht 2013 aufgezeigt. Die Rechtsanwaltsordnung sieht vor, dass der ÖRAK die Anwendung der Gesetze durch die Behörden und die Justiz beobachtet und dabei Missstände und Mängel aufzeigt. Darüber hinaus wird jährlich eine Vielzahl von Gesetzesentwürfen begutachtet und geprüft. Allein im Berichtszeitraum war der ÖRAK mit 226 Gesetzes- und Verordnungsentwürfen befasst. Aber auch das Zeichnen einer „Fieberkurve des Rechtsstaates“ in Form des jährlichen Wahrnehmungsberichtes, die Arbeiten in zahlreichen Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen, das Ausrichten von Veranstaltungen und Tagungen sowie die diversen Serviceleistungen der Rechtsanwaltskammern gehören zum Tätigkeitsspektrum. „Die österreichische Rechtsanwaltschaft kommt ihrer Aufgabe in unserem demokratischen Rechtsstaat aktiv nach. Durch die Ausübung unserer Kontroll- und Korrektivfunktion prägen und fördern wir die Einhaltung und Weiterentwicklung rechtsstaatlicher Standards und leisten damit einen unverzichtbaren Beitrag zur Sicherung und zum Ausbau des Rechtsstaates“, macht Wolff deutlich.
Aus all den Tätigkeiten und Beobachtungen zieht die Anwaltschaft Rückschlüsse auf die Situation des Rechtsstaates. Daraus ergeben sich klare Handlungsaufträge, die ÖRAK-Präsident Wolff als Verbesserungsvorschläge an die Politik richtet.
Handlungsbedarf erkennen die Rechtsanwälte in mehreren Bereichen:
Unabhängige Expertenkommission zur Evaluierung der seit 09/11 erfolgten Verschärfungen im Bereich Überwachung und Terrorismusbekämpfung
In einem Appell wendet sich Wolff an die Abgeordneten zum Nationalrat: „Setzen Sie sich für die Bürgerinnen und Bürger Österreichs ein und schützen Sie das Grundrecht auf Privatsphäre“, so Wolff. Die Verschärfungen der letzten Jahre im Bereich Überwachung brächten nicht einen Hauch von mehr Sicherheit, dafür aber eine massive Einschränkung der Errungenschaften der zivilisierten Welt. „Sie bringen Vorverurteilungen, ein Untergraben der Unschuldsvermutung und können in letzter Konsequenz zu einem Polizei- oder auch Justizstaat führen. Beides ist jedenfalls eines nicht: ein Rechtsstaat“, so Wolff. Die Rechtsanwälte fordern daher die Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission zur Evaluierung der seit 09/11 erfolgten Verschärfungen im Bereich Überwachung und Terrorismusbekämpfung sowie eine Änderung der betreffenden Rechtsvorschriften auf Basis der Empfehlungen dieser Expertenkommission.
Großbaustelle Strafverfahren – fehlende Waffengleichheit und Rechtsstaatlichkeit
Insbesondere im Bereich des Strafverfahrens ortet die Rechtsanwaltschaft Handlungsbedarf. „Sowohl im Ermittlungsverfahren, als auch im Haupt- und Rechtsmittelverfahren mangelt es an Waffengleichheit und Rechtsstaatlichkeit“, so Wolff, „es ist Zeit, den Reformstau zu durchbrechen!“. Die Beschuldigtenrechte im Ermittlungsverfahren müssten in Österreich endlich gestärkt werden, schließlich wurde erst vor Kurzem eine entsprechende EU-Richtlinie beschlossen.
Aber auch die Schieflage in Zusammenhang mit Sachverständigen sei nicht länger hinzunehmen. Um dem Rechtsstaat genüge zu tun, brauche es Waffengleichheit, so Wolff. „Die Stellung von Privatgutachten muss auf echte rechtsstaatliche Standards angehoben werden“. Dafür sei es erforderlich, grundsätzlich die Beiziehung von Privatgutachtern zu ermöglichen, die Verlesung von Privatgutachten zuzulassen und die Einvernahme des Privatgutachters im Hauptverfahren zu gewährleisten.
Außerdem müsse eine funktionierende Überprüfungsmöglichkeit der Beweiswürdigung von Schöffen- und Geschworenengerichten geschaffen werden. Korrigiert werden sollte aus Sicht der Rechtsanwälte der Fehler, den zweiten Berufsrichter im Schöffenverfahren abzuschaffen. Außerdem sei es überfällig, endlich den durchgängigen elektronischen Strafakt einzuführen und den Pauschalersatz der Verteidigungskosten bei Freispruch im Strafverfahren sachgerecht anzuheben. Die derzeit vorgesehenen Pauschalbeträge stünden in keinem Verhältnis zu dem Schaden, der den Betroffenen widerfährt, so Wolff.
Abschaffung des Gebührengesetzes und Reform der Gerichtsgebühren
Als „im 21. Jahrhundert nicht mehr zeitgemäß“ bezeichnet Wolff das aus dem Jahr 1850 stammende Gebührengesetz, das auf eine Papierverbrauchssteuer aus den Niederlanden zurückgeht, und nennt Beispiele: „Ist es noch gerechtfertigt, von den Adoptiveltern 1 Prozent ihres Vermögens als Gebühr anlässlich der Adoption einzuheben? Sollten wir nicht die Erteilung der Befugnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit von einer Gebühr befreien und lieber froh sein, dass es einen neuen Erwerbstätigen gibt? Könnten wir nicht im Jahr 2013 den Bergführerpass, die Trägerlegitimation, die Enterdigungsbewilligung, den Leichenpass und das Ansuchen auf Änderung des Familiennamens gebührenfrei stellen?“. Das Gebührengesetz sei ein Relikt aus dem vorvorigen Jahrhundert und heute nur noch als Stallung anzusehen, in der der Amtsschimmel „fröhliche Urständ“ feiert, so Wolff. Auch die Gerichtsgebühren bezeichnet Wolff angesichts des Überdeckungsgrades der österreichischen Justiz als ungebührlich. Hier bestehe dringender Reformbedarf, um den Zugang zum Recht für jede Bürgerin und jeden Bürger zu sichern.
Umfassende Reform des Sachwalterrechts
„Es ist eine der wesentlichen Aufgaben des Staates und der Gesellschaft, jene Mitbürger nicht im Stich zu lassen, die nicht mehr für sich selbst Handlungen setzen und Entscheidungen treffen können“, betont Wolff. Der Umgang des Staates mit besachwalteten Menschen müsse dringend verbessert werden.
Rechtsanwälte sind hervorragend ausgebildete Parteienvertreter und berufen, die Rechte der Bürgerinnen und Bürger zu vertreten. Sie sind aber keine ausgebildeten Sozialarbeiter und Experten in der Personenfürsorge, also in der Pflege hilfsbedürftiger Menschen, im Auffinden bester Heimunterbringungsplätze usw. Tagtäglich aber werden Rechtsanwälte in solchen Fällen zu Sachwaltern bestellt. „Dann, wenn es keine Angehörigen gibt, die sich zu einer Übernahme bereit erklären und auch die aus Steuergeld grundfinanzierten Vereine eine Übernahme ablehnen“, erklärt Wolff. Im Unterschied zu allen Anderen können Rechtsanwälte und Notare eine Sachwalterschaft aber nicht ablehnen und müssen bis zu fünf derartige Fälle übernehmen. So schreibt es das Gesetz vor. „Ein Gesetz, das nicht mehr den Gegebenheiten unserer Zeit entspricht und den Bedürfnissen der Betroffenen längst nicht mehr gerecht wird“, so Wolff.
Wenn es um die Personenfürsorge unserer Mitmenschen gehe, dürfe ausschließlich nach fachlichen und sachlichen Kriterien gehandelt werden. Zwang sei fehl am Platz, gibt Wolff zu bedenken. Genauso unangemessen sei es, von Rechtsanwälten zu verlangen, die Grundversorgung der Besachwalteten unentgeltlich zu übernehmen, wie es derzeit der Fall ist. „Freiwilligkeit und Eignung haben im Vordergrund zu stehen, ebenso wie eine angemessene Entschädigung. Nur jene Kolleginnen und Kollegen, die sich selbst dazu bekennen, Sachwalterschaften mit Personenfürsorge zu übernehmen, sollen auch dafür herangezogen werden“, fordert der ÖRAK-Präsident. Außerdem sei es notwendig, die Angehörigenvertretung auszuweiten und ein Äußerungsrecht von Angehörigen einzuführen.
Kein Abwälzen rechtspolitischer Entscheidungen auf die Gerichte
Warnende Worte findet ÖRAK-Präsident Rupert Wolff in Anbetracht der Angst der modernen Politik, wichtige rechtspolitische Entscheidungen zu treffen. Dies führe dazu, dass die Rechtsprechung mehr und mehr das Parlament als Gesetzgeber ablöst. „Das ist unzumutbar für die Richterinnen und Richter und unzumutbar gegenüber den Bürgern. Rechtssicherheit geht vom Gesetzgeber aus. Wesentliche rechtspolitische Entscheidungen dürfen nicht länger von der Politik auf die Gerichte abgewälzt werden“, mahnt Wolff. Beispiele für fehlenden Gestaltungswillen der Politik seien etwa die längst fällige Reform des Mietrechtes, eine zeitgemäße Reform des Pflichtteilsrechtes, die seit Jahren schubladisierte Einführung von Gruppenklagen, das Schadenersatzrecht aber auch das Urheberrecht.
Verbindliche „Good Governance“-Regelungen
Zugleich fordern die Rechtsanwälte aber auch die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards bei der Gesetzwerdung. „Die Bürger haben ein Recht auf Nachvollziehbarkeit“, so Wolff. Es sei an der Zeit, ein transparenteres Gesetzwerdungsverfahren und verbindliche „Good Governance“-Regelungen einzuführen.
„Wie wir sehen, gibt es viel zu tun, um unseren Rechtsstaat weiter zu verbessern. Ich bin zuversichtlich, dass unsere Vorschläge Gehör finden und wir gemeinsam mit den politischen Entscheidungsträgern den Rechtsstaat Österreich stärken und ausbauen können“, blickt ÖRAK-Präsident Wolff positiv in die Zukunft.
Informationen zum Anwaltstag sind unter www.anwaltstag.at online abrufbar. Der Tätigkeitsbericht des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK) ist unter www.rechtsanwaelte.at (Menüpunkte Presse/Downloads) online abrufbar.