Der neue digitale Wahrnehmungsbericht des ÖRAK ist ab sofort unter www.wahrnehmungsbericht.at abrufbar.
Seit Jahrzehnten veröffentlicht der Österreichische Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) seinem gesetzlichen Auftrag folgend Mängel und Missstände in Justiz und Verwaltung, aber auch in der Gesetzgebung, in seinem Wahrnehmungsbericht. Ab sofort ersetzt eine neue und stetig aktualisierte Online-Plattform den bisher jährlichen Bericht. Unter www.wahrnehmungsbericht.at werden künftig laufend neue kritische, aber auch positive Wahrnehmungen aus dem beruflichen Alltag der österreichischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte an den heimischen Gerichten und Verwaltungsbehörden dargestellt und Verbesserungsvorschläge erstattet.
ÖRAK-Präsident Dr. Armenak Utudjian bei der heutigen Präsentation der neuen Internetplattform: „Wir sind davon überzeugt, dass der Wahrnehmungsbericht noch mehr Wirkung entfalten kann, wenn bekannt ist, dass behördliches Fehlverhalten laufend und unmittelbar den Weg in die Öffentlichkeit findet. Wir wollen mit unserem Wahrnehmungsbericht aber keine behördliche Kuriositätenschau veranstalten, sondern alle Fälle effizient bis zur Behebung des Missstandes begleiten,“ so Utudjian weiter. Man könne mit dieser neuen Form des Berichts auch systemische Fehlermuster erkennen, die über das Fehlverhalten einzelner Personen hinausgehen und anhand dieser Muster proaktiv justizpolitisch tätig werden, um Mängel zu beheben und im Idealfall von vornherein zu vermeiden. „Der Idealzustand wäre irgendwann eine völlig leere Website,“ so der Rechtsanwälte-Präsident.
Praxisfälle, Gesetzgebung und Verbesserungsvorschläge
Der digitale Wahrnehmungsbericht zeigt Mängel und Missstände untergliedert in die Bereiche „Praxisfälle“ und „Gesetzgebung“ auf. Eine weitere Rubrik enthält die aus den Wahrnehmungen der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte abgeleiteten Verbesserungsvorschläge. Alle Fälle können chronologisch und thematisch geordnet aufgerufen und durchsucht werden. Die Praxisfälle weisen zudem einen Hinweis auf den Erledigungsstatus auf. Weiters können Push-Nachrichten aktiviert und somit Verständigungen über neu veröffentlichte Beiträge oder Statusänderungen abonniert werden. Eingereicht werden können Praxisfälle von den 7.000 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten über ein Online-Formular.
Verfahrensverzögerungen und Probleme bei der Akteneinsicht
Auffällig im Bereich der praktischen Wahrnehmungen sind vor allem diverse Fälle überlanger Verfahren sowie Verfahrensverzögerungen, die sich durch alle Verfahrensarten ziehen und das Resultat personeller Unterbesetzungen und fehlender Ressourcen sind, wie ÖRAK-Vizepräsident Dr. Bernhard Fink verdeutlicht. Außerdem kommt es vor allem im Strafverfahren immer wieder zu Problemen bei der Akteneinsicht. Kritisiert wird zudem die seit über einem Jahr ausständige Nachbesetzung der Präsidentenstelle beim Bundesverwaltungsgericht sowie Missstände beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.
ÖRAK fordert Gebührenreform, rasche Neuregelung der Sicherstellung von Datenträgern und Veröffentlichung letztinstanzlicher Entscheidungen der Landes- und Oberlandesgerichte
Im Bereich der Gesetzgebung fordert der ÖRAK vor allem einen verbesserten Zugang zum Recht durch eine umfassende Reform der Gerichtsgebührenstruktur sowie die gänzliche Abschaffung der Rechtsgeschäftsgebühren. Beim Verteidigungskostenersatz konnte durch die Aufstockung des dafür vorgesehenen Budgets auf 70 Millionen Euro ein erster wichtiger Erfolg erzielt werden. Allerdings werde auch dieser Betrag weder für einen vollen, noch für einen angemessenen Kostenersatz bei Freisprüchen und Einstellungen ausreichen, gibt Utudjian zu bedenken. Hinsichtlich des zuletzt auch durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zum Ausdruck gebrachten, dringenden Reformbedarfs bei der Sicherstellung von Datenträgern verweist Utudjian auf den konkreten Regelungsvorschlag des ÖRAK, der bereits vor einem Jahr vorgestellt wurde. „Die Herstellung eines verfassungskonformen Zustandes ist dringend geboten und muss von der Politik endlich prioritär behandelt werden“, macht Utudjian die Notwendigkeit einer raschen und sachgerechten Gesetzesänderung deutlich. Zudem verlangen die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte die umfassende Veröffentlichung letztinstanzlicher Entscheidungen von Landes- und Oberlandesgerichten, um Waffengleichheit zu gewährleisten und Verfahren effizienter gestalten zu können.
Wahrnehmungsbericht als Werkzeug zum Schutz und Ausbau des Rechtsstaates
Es sei wichtig, Fehlentwicklungen transparent darzustellen, konstruktiv zu diskutieren und eine Lösung im Sinne des Rechtsstaates zu finden, so Utudjian. „Ein System kann nur dann funktionieren, wenn es nie aufhört, sich selbst zu hinterfragen und seine Fehler und Problemzonen nicht verschweigt. Unser Wahrnehmungsbericht ist ein ganz wesentliches Werkzeug innerhalb dieses Prozesses und dient dem Schutz und Ausbau des Rechtsstaates. Wenn wir das beherzigen und weiterhin auf Transparenz und sachliche Diskussion setzen, wird der österreichische Rechtsstaat das halten, was uns die Verfassung verspricht, ein zivilisiertes Leben auf der Basis von Gesetzen und Vernunft“, so Utudjian abschließend.